Dr.Hans-Joachim Radisch, Rechtsanwalt in Waren (Müritz)
Erstveröffentlichung am 11.04.2014 bei “eigentümlich frei”, http://ef-magazin.de
Selbst von Fachleuten weitestgehend unbemerkt bläst die Bundesregierung auf Basis einer EU-Richtlinie, versteckt in einem unscheinbar wirkenden Entwurf eines Gesetzes zur “Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr”, zum Halali auf die Privatautonomie der Bürger und ihrer Unternehmen.
Es ist das Verdienst des „Deutscher Richterbund“, die Folgen der unscheinbaren Regelungen des Gesetzentwurfes als einziger bei der erfolgten Anhörung bemerkt, benannt und abgelehnt zu haben. Er führt in der Sache zutreffend, wenn auch im Ton viel zu nüchtern, aus:
Eine Verbandsklage, die sich auf individuelle Absprachen zwischen Vertragsparteien richtet, ist in jeder Hinsicht systemfremd und schränkt die Privatautonomie ein, ohne dass insoweit ein legitimes Interesse ersichtlich wäre. Es sei nicht ersichtlich, warum ein Dritter hier gerichtlich eingreifen und den Betroffenen eine nicht gewünschte gerichtliche Entscheidung aufdrängen soll.
Die hinter dem Begriff der Privatautonomie stehende Vertrags- und Organisationsfreiheit sind der Kernbestand der durch die bürgerlichen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts unter großen Opfern errungenen bürgerlichen Freiheiten. Sie ist Grundlage der Fähigkeit, im Austausch mit anderen sowohl als Individuum verläßliche Vereinbarungen über den Bezug von Waren und Dienstleistungen zu treffen, wie auch Verabredungen über organisiertes Zusammenwirken zu unterschiedlichsten Zwecken zu treffen.
Gab es unter Staats- und Rechtstheoretikern freiheitlicher demokratischer Gesellschaften auch unterschiedliche Auffassungen, ob und wieweit ein Staat über die Gewährleistung von Friede und Sicherheit nach innen und außen hinaus für die Wohlfahrt seiner Bürger im Rahmen sozialer Vor- und Fürsorge zuständig sei: Daß der Schutz der individuellen Vereinbarungen vor den Ein- und Zugriffen Dritter ein wichtiger Bereich staatlicher Garantien für seine Bürger sein müsse, schien bislang selbst in noch so sozial ausgeprägten marktwirtschaftlich geprägten Staatssystemen selbstverständlich. Allein die Möglichkeit, Leistung und Gegenleistung oder die Regeln von Zusammenarbeit in Verbänden jeglicher Art in der Gewißheit vereinbaren zu können, daß die Vertragstreue der Beteiligten die Erlangung der versprochenen Gegenleistung für eigene Leistung sichert, erlaubt das in einer menschenwürdigen Gesellschaft erforderliche Schließen von unterschiedlichsten Koalitionen zu unterschiedlichsten Zwecken und den erforderlichen Interessenausgleich zwischen den Individuen.
Bislang wurde es deshalb allgemein als Schwäche eines Staatswesens angesehen, wenn es nicht in der Lage war, die Störung vertraglicher Beziehungen durch am Vertrag nicht beteiligte Dritte zu unterbinden oder zumindest deren Abwehr rechtlich sicherzustellen. Folgerichtig hat deshalb kein Staat, welcher Ausprägung auch immer, bislang eine derartige Schwäche im Kernbereich seiner Zweckbestimmung zu staatlichen Gewährleistungen offiziell einräumen oder gar als staatliche Zielsetzung eingestehen wollen.
Daß er selbst immer wieder bei mehr oder weniger starker Gegenwehr seiner Bürger Einwirkungen und Eingriffe in die privaten Rechtsbeziehungen seiner Bürger veranstaltet, ist dagegen ein Thema der Auseinandersetzung von herrschaftlicher Staatsgewalt und den Staatsbürgern seit Alters her. Die Absicherung der Bürger vor derartigem staatlichen Unterfangen war über Verfassungen und die Gewährleistungen von Grund- und Menschenrechten der wichtigste Erfolg bürgerlicher Emanzipation zunächst vor dem feudalen und absolutistischen Staat und später vor den totalitären Staaten des national- und international ausgeprägten realexistierenden Sozialismus.
Die mit Blut und Tränen unserer Vorfahren erkämpften Abwehrrechte gegen staatliche Machtausübung in die persönlichen Rechtsbeziehungen begegneten vor allem deshalb so fundamentalem staatlichen Widerstand, weil jede Möglichkeit, die dem sonst vereinzelten Individuum den Zusammenschluß und das Zusammenwirken mit anderen eröffnete, die Macht von staatlichen Herrschercliquen durch Schaffung von Gegenmacht gefährdete.
Erst als mit dem Erfolg des Liberalismus des 19. Jahrhunderts die Macht monarchisch-feudaler Herrschaft zugunsten eines starken Bürgertums geschwächt und der Staat der Bürger als neuer Herrscher über seine Staatsangehörigen etabliert war, erlaubten die modernen Bürger im Wahn, doch selbst der Staat und damit Kontrolleur der Staatsmacht sein zu können, einer neuen Herrscherclique von Parteifunktionären, die als Macht der Unfähigen und nicht zuletzt deshalb Ohnmächtigen die tatsächliche Macht innehaben, die vertragliche und organisatorische Gegenmacht der Bürger durch staatliche Eingriffe immer weiter zu schwächen.
Dabei sind die bürgerlichen Abwehrmöglichkeiten zwar stark geschwächt angesichts einer in Parteihände gefallenen Staatsverwaltung, übermächtig wegen einer fast nicht mehr erkennbaren Gewaltenteilung. Gleichwohl stellt wenigstens die Verfassungsgerichtsbarkeit ein immer wieder relativierendes oder verzögerndes Moment der Entmachtung der Staatsbürger dar. Zumindest dort wird die Abwehr staatlicher Eingriffe in verfassungsmäßige Rechte der Bürger – wenn auch mit viel pragmatischer Rücksicht auf Funktionärsinteressen – noch ab und an als Aufgabe gesehen und wahrgenommen.
Nachdem die Machtposition der Familie als gefährlichster organisierter Gegenpol mit immer neuen Eingriffen nunmehr fast aussichtlos destabilisiert worden ist, sind nunmehr Möglichkeiten zu vertraglicher bürgerlicher Gegenorganisation in den Blickpunkt staatlichen Interesses an der Vereinzelung der Staatsbürger zum Zwecke der völligen Ausschaltung organisierter Gegenwehr geraten. EU und Bundesregierung haben dabei nun einen Weg eingeschlagen, der in geradezu diabolischer Weise dem Bürger sogar die Chance nimmt, konkrete Attacken auf seine Vertragsbeziehungen als staatlichen Eingriff mit Rückgriff auf Grundrechtsgewährleistungen abzuwehren: Wie beim Nutzen privaten – rechtswidrigen – Tuns durch Ankauf rechtswidrig erlangter Kontodaten oder der Erlangung von Informationen durch Folterverhöre seitens befreundeter Staaten, setzt er jetzt private unkontrollierte Organisationen ein, um durch deren rechtlich legitimierte willkürlichen Eingriffe Rechtsbeziehungen zwischen Bürgern selbst gegen deren Willen zu zerstören:
Mit dem beabsichtigten “Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug” wird über eine Änderung des sog. “Unterlassungsklagen-Gesetzes” nunmehr die Klagebefugnis für Vereine und Verbände, die sich der Interessenwahrnehmung von Wirtschaftsunternehmen und Verbrauchern widmen, eingeräumt, individuelle vertragliche Regelungen zwischen Dritten gerichtlich anzugreifen und zu Fall zu bringen.
Das geht deutlich über die bislang schon Verbänden eingeräumte rechtliche Befugnis hinaus, abstrakt gerichtlich feststellen zu lassen, daß bestimmte Vertragsklauseln als sog. “Allgemeine Geschäftsbedingungen” – AGB – in Verträgen bestimmter Unternehmen rechtswidrig und in Verträgen der jeweils beklagten Unternehmen unter Androhung von an die Verbände zu zahlenden Vertragsstrafen nicht mehr verwendet werden dürfen.
Bislang konnten Verbände als vertragsfremde Dritte dadurch aber nicht verhindern, daß die Vertragspartner selbst die verwendete Regelung als angemessen betrachten wollten und sich beide an das Vereinbarte hielten. Solange keiner der Vertragspartner den Vertrag vor Gericht angriff, behielt er zwischen ihnen Gültigkeit. Gerade zwischen Unternehmen war bislang insbesondere davon auszugehen, daß nur sie beurteilen und festlegen konnten, ob sie von der gesetzlichen Regel abweichende Preise Zahlungsfälligkeiten vorsehen und welche Verzugsfolgen sie eintreten lassen wollten.
Als individuell vertraglich vereinbarte Regelung des einzelnen Vertragsverhältnisses war dies Unternehmen schon deshalb völlig unbenommen geblieben, weil nur durch diese Freiheit den Unternehmen möglich ist, die im Einzelfall liegenden Chancen zu nutzen, die nur durch die besonderen immer unterschiedlichen Interessenlagen und Wertungen der jeweiligen Vertragspartner für die Befriedigung der jeweiligen wirtschaftlichen Bedürfnisse eröffnen. Warum sollte sich ein Unternehmen dafür vor Gericht rechtfertigen müssen, daß er einem Geschäftspartner für die Bezahlung eines Baggers eine sechsmonatige Zahlungsfrist von vornherein einräumt oder jedenfalls einen Zahlungsverzugsschaden erst bei Zahlung nach dieser Frist als angefallen betrachten möchte? Die dadurch dem Käufer eingeräumte Möglichkeit, mit dem Bagger den Kaufpreis vor Zahlung zu verdienen, wäre bislang eine unberührt von rechtlichen Attacken Dritter vereinbare Geschäftsvariante.
Der beabsichtigte Eingriff von EU und Bundesregierung würde derartige Lösungen verhindern oder erschweren und den Vertragsparteien das Vermögen zu sachdienlichen Lösungen nehmen. Und um genau das geht es hier : Auch auf diesem Wege möchte man den Bürgern etwas nehmen, was sie als Mensch vermögen, nämlich im Wege der Privatautonomie zu organisieren und Vereinbarungen zum individuell empfundenen Vorteil zu schließen.
Dem EU- und Staatsbürger an dieses Vermögen zu gehen, indem man ihn gezielt den willkürlichen Eingriffen Dritter aussetzt, ist viel gravierender als steuerlich konfiskatorische Entwendung von Finanzvermögen des Bürgers. In letzterem Fall geht es nur um zu Geld “geronnene”, quasi gespeicherte, aber schon errungene Macht. Mit dem aus der Privatautonomie fließenden „Vermögen zu Organisation und Vereinbarung“ wird dem Bürger jedoch das Mittel zur Produktion von Selbstbehauptung und Macht jeglicher Dimension genommen.
Hier werden die Ketten geschmiedet, mit denen die Menschen von der einvernehmlichen Kooperation untereinander abgehalten und den staatlichen Tyrannen als zwangsvereinzeltes Opfer ausgeliefert werden sollen. Den Menschen Hab und Gut zu nehmen ist schlimm genug, ihm das menschlichste, seine Fähigkeit zu nehmen, mit anderen als “zoon politicon” zu kooperieren und sein persönliches Glück auch mit Leistungen gegenüber dem Kooperationspartner zu erstreben, die aus einer – doch nur vermeintlich – objektiven Einschätzung für das angestrebte Glück überzogen erscheinen, ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde und verlangt unseren Widerstand.